Gerechtigkeit in der Bibel

Der lebendige Gott der Bibel möchte unser Versorger sein. Einer meiner Lieblingsverse hierzu steht in Matthäus 6,33 (LUT): Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

Mit „das alles“ meint Jesus Essen, Trinken, Nahrung und alles andere, worum sich Heiden Sorgen machen. Gott selbst möchte uns mit allem ver-sorgen, was wir für ein gutes Leben benötigen. Unsere Aufgabe ist es (so sagt es der Vers), dass wir uns in unserem Leben mit oberster Priorität um Gottes Königreich kümmern – und um seine Gerechtigkeit.

Die Bibel und Gerechtigkeit

Wir Christen des 21. Jahrhunderts neigen häufig dazu, Gerechtigkeit vor allem vertikal in Bezug auf unsere Beziehung als Mensch zu Gott zu interpretieren. Wir haben dabei meist vor Augen, wie Jesus uns durch seinen stellvertretenden Tod am Kreuz von unserer Schuld befreit und gerecht vor Gott stehen lässt.

In der Bibel hat Gerechtigkeit aber immer auch eine horizontale Auswirkung auf die Schöpfung und vor allem auf die Menschen um uns herum. Diese horizontale Gerechtigkeit ist neben dem Thema Finanzen eines der Kernthemen der der Bibel: Wusstest Du, dass es in jedem zehnten Vers der Bibel (in 3.150 von 31.171 Versen) um Gerechtigkeit und Verantwortung für Arme geht? Die prophetischen Bücher im Alten Testament sind gespickt mit diesem Themenkomplex, ebenso die Bücher der Psalmen und Sprüche.

Auch in den Evangelien des Neuen Testaments ist die soziale Gerechtigkeit neben Haushalterschaft eines der Hauptanliegen Jesu. Im Lukasevangelium dreht sich von Kapitel 4 bis Kapitel 21 jeder fünfte Vers um diesen Aspekt. Es gibt sogar eine eigene „Hoffnung für alle“-Bibelübersetzung, in der diese Verse farblich markiert sind. Diese „Gerechtigkeitsbibel“ hat die Micha-Initiative Deutschland gemeinsam mit anderen christlichen Hilfswerken und Verbänden herausgegeben.

Was ist Gerechtigkeit?

Auch, wenn gesellschaftlich viel über Gerechtigkeit gesprochen und diskutiert wird, interessanter Weise gibt es keine allgemein anerkannte Definition, sodass das Reden von Gerechtigkeit häufig unscharf bleibt. Uns fällt es wesentlich leichter, Ungerechtigkeit zu benennen als ihr Gegenteil.

Eine interessante Beschreibung von Gerechtigkeit liefert Timothey Keller in seinem Buch „Warum Gerechtigkeit“ (S. 36):

Gerechtigkeit „bedeutet nicht nur, Unrecht aus der Welt zu schaffen, sondern auch Großzügigkeit und soziales Engagement, besonders gegenüber den Armen und Schutzlosen. Dies ist ein Lebensstil, der etwas vom Wesen Gottes spiegelt. Er umfasst eine Vielzahl von Aspekten – vom ehrlichen, fairen Umgang mit den Mitmenschen in unserem Alltag über das regelmäßige, radikal großzügige Abgeben und Teilen unserer Zeit und Mittel bis hin zum aktiven, systematischen Einsatz zur Abschaffung der verschiedenen Formen von Ungerechtigkeit, Gewalt und Unterdrückung in unserer Gesellschaft.“

Keller spricht bei Gerechtigkeit von einem Wesenszug Gottes. In der Tat positioniert sich der Gott der Bibel eindeutig als ein Gott der Gerechtigkeit: Gott ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb (Psalm 11,7). Vollkommen und gerecht ist alles, was er tut. Er ist ein Fels – auf ihn ist stets Verlass. Er hält, was er verspricht; er ist gerecht und treu (5. Mose 32,4).

Gott als Anwalt der Schutzlosen

Wenn Gott in der Bibel über Gerechtigkeit spricht, möchte er uns an seiner Leidenschaft für die Armen und Schutzlosen teilhaben lassen. Im Mittelpunkt steht häufig die auch für unsere Zeit charakteristische Kluft zwischen Arm und Reich und eine daraus resultierende Ungerechtigkeit. Dabei scheinen Gott vor allem vier Personengruppen besonders am Herzen zu liegen (das sogenannte „Quartett der Schutzlosen“): die Witwen und die Waisen, die Armen und die Ausländer bzw. Fremdlinge.

Indem sich Gott auf die Seite der politisch Machtlosen, der gesellschaftlich Ausgestoßenen und der wirtschaftlich Mittellosen stellt, unterscheidet er sich komplett von allen anderen Göttern der Antike. Diese suchten höchstens den Kontakt zu gesellschaftlichen Eliten – seien es Könige, Priester oder militärische Führer, denn diese konnten ihnen monumentale Tempel errichten und kolossale Opfer darbringen. Gott hingegen tritt als Fürsprecher und Anwalt der Schutzlosen auf:

Fällt gerechte Urteile! Geht liebevoll und barmherzig miteinander um! Die Witwen und Waisen, die Armen und die Ausländer sollt ihr nicht unterdrücken!


Sacharja 7,8-10

Den Unterdrückten verschafft er Recht, den Hungernden gibt er zu essen, und die Gefangenen befreit er … Er bietet den Ausländern Schutz und versorgt die Witwen und Waisen.


Psalm 146,7-9

Ein Anwalt der Witwen und ein Vater der Waisen ist Gott in seinem Heiligtum.


Psalm 68,6

Soziale Verantwortung

Als ich während eines Klosteraufenthaltes das Buch Jeremias las, hatte ich den Eindruck, Gott spricht mit den Worten des Propheten nicht nur zum Volk der Juden vor über 2.500 Jahren, sondern direkt in unsere Zeit hinein. Was der Prophet an Ungerechtigkeit und sozialen Missständen angeprangert ist brandaktuell. Jeremia bringt es auf den Punkt (Jer. 22,17): „Ihr habt nur eins im Sinn: Gewinn um jeden Preis!“

Wenn ich das lese, habe ich schnell die Großbanken, die globalen Konzerne und die geldgierigen Hedgefonds vor Augen. Diese ungerechten unpersönlichen Marktteilnehmer, die Franz Müntefering 2005 als Heuschrecken brandmarkte: sie fallen in ein Land ein, fressen dessen Unternehmen kahl, saugen die Arbeiter aus und am Ende lassen sie nicht als verbrannte Erde zurück, während sie sich vollgefressen einem neuen Standort zuwenden. Diese Ausbeuter, die nur auf Gewinn aus sind und sich selbst mit Profit auf Kosten anderer segnen….

Brodelnd steigt Wut über diese Ungerechtigkeit in mir hoch. Manch einer wünscht sich vielleicht Gottes gerechtes Gericht herbei: Wann werden die Schuldigen für Raubbau, Unterdrückung und Ausbeutung endlich bestraft? Wir sind schnell beim Richten, wenn wir Unternehmen verurteilen, die ihre Produktion in Länder verlagern, wo Löhne, Abgaben und Sozialstandards weit unter dem deutschen Niveau liegen. Eifrig zücken wir die Moralkeule, um das Streben der Unternehmen nach Gewinn zu tadeln.

… beginnt bei Dir und mir

Wenn ich in den Spiegel schaue: Bin ich als Konsument anders oder gar anständiger? Denn nicht nur Unternehmen versuchen ihren Gewinn zu maximieren und ihre Kosten zu minimieren, auch wir Verbraucher tun das. Die Frage, warum manche Produkte deutlich billiger sind als andere, blenden Konsumenten beim Kauf gerne aus, genauso wie es die Großkonzerne bei der Wahl ihrer Produktionsstandorte tun. Dass Einsparungen dabei häufig aus dem teilweisen oder vollständigen Verzicht auf soziale und ökologische Standards resultieren, möchten wir erst gar nicht hören. Hier handeln Privatpersonen nicht weniger un(ge)recht als Unternehmenslenker.

Mit unserem deutschen Volkssport des Schnäppchenjagens und unserer „Geiz ist geil“-Mentalität sind wir Verbraucher also keinen Deut besser als die „Heuschrecken“, die sich skrupellos über Schicksale von Menschen hinwegsetzen, um ihre eigenen Ziele zu verwirklichen. Ganz im Gegenteil: Wenn wir solchen Geiz geil finden und nicht als ungerecht und grausam brandmarken, dann unterstützen wir die Ausbeutung und legitimieren durch unsere Konsumwahl das menschenverachtende Handeln der Unternehmen.

Die Zeit brachte es im Frühsommer 2006 auf den Punkt: „Ob Niedriglöhne, Stellenabbau oder Umweltzerstörung: was uns als Bürger empört, fördern wir als Kunden.“ Wären wir eine Regierung, wir würden uns abwählen. Wären wir ein Konzern, wir würden uns selbst boykottieren. Claudia Langner, die Gründerin des nachhaltigen Online-Portals Utopia, stellte frustriert fest: „Der Verbraucher ist ein Pharisäer, der immer auf die bösen anderen zeigt, sich selbst aber schnell in die Büsche schlägt, wenn er etwas tun oder lassen müsste.“

Das Blut unschuldiger, armer Menschen klebt an Deinen Kleidern

Mit deutlichen Worten kritisiert Jeremia im Auftrag Gottes die sozialen Missstände im Volk Israel, doch seine Worte klingen wachrüttelnd bis in unsere Zeit (Jer. 2,34): „Das Blut unschuldiger, armer Menschen klebt an deinen Kleidern!“ und (Jer. 2,17): „Du bringst unschuldige Menschen um, wenn du irgendeinen Vorteil davon hast, vor Unterdrückung … schreckst du nicht zurück!

Vermutlich würden wir wie die Juden damals entgeistert entgegnen (Jer. 2,35): „Ich habe nichts getan!“ Doch wenn wir ein billiges T-Shirt kaufen (oder ein anderes Kleidungsstück zu Schnäppchenpreisen): kann ich dann wirklich ernsthaft behaupten, ich hätte nichts zum tausendfachen Tod ausgebeuteter Arbeiterinnen in den Textilfabriken Asiens beigetragen? Wir werden dieses Thema in einem anderen Blog-Beitrag vertiefen.

Gott wirft seinem Volk Scheinheiligkeit vor (Jer. 7,10-11): „Danach kommt ihr in meinen Tempel, tretet vor mich hin und sagt: Hier kann uns nichts geschehen! Danach treibt ihr es genauso schlimm wie vorher. Meint ihr etwa, dieses Haus, das meinen Namen trägt, sei eine Räuberhöhle?

In die gleiche Kerbe schlägt der Prophet Amos (Amos 5,31+23): Ich hasse eure Feiern, geradezu widerwärtig sind sie mir, eure Opferfeste verabscheue ich… Eure lauten Lieder kann ich nicht mehr hören, verschont mich mit eurem Harfengeklimper. 

Unwillkürlich denke ich an den Gottesdienst in unserer Kirche: Alles ist stilvoll dekoriert und auf Hochglanz poliert. Die ersten Klänge der Lobpreis-Band erfüllen den Raum und die Herzen der Besucher. Das Fest beginnt… Wessen Herz schlägt da nicht höher? Vielleicht war es in Israel vor knapp 2.800 Jahren ganz ähnlich. Nur einer hat keine Lust mehr dabei zu sein: Gott selbst.

Für Gott waren die Gottesdienste in den Zeiten des Propheten Amos unerträglich, weil sich neben dem frommen Schein Ungerechtigkeit und Ausbeutung breitgemacht hatten. Auf der einen Seite feierten die Menschen Gott und beriefen sich auf den Glauben an ihn bzw. die Zugehörigkeit zum Volk Gottes. Gleichzeitig traten sie seinen Willen mit Füßen, wenn es um Gerechtigkeit für die Armen ging.

Die beiden zitierten Propheten rütteln uns wach und lassen uns von Gott ausrichten:
Sorgt dafür, dass jeder zu seinem Recht kommt! Recht und Gerechtigkeit sollen das Land durchströmen wie ein nie versiegender Fluss (Amos 5,24). Ändert euer Leben von Grund auf! Geht gerecht und gut miteinander um (Jer. 7,5).

Geht gerecht und gut miteinander um

Gott fordert uns auf, mit höchster Priorität nach seiner Gerechtigkeit zu streben (vgl. den Eingangsvers aus Matthäus 6,33). Solltest Du nicht komplett auf regionale Produkte aus regionalen Rohstoffen setzen, können wir uns nicht einer globalen Verantwortung entziehen, wenn es um Gottes Aufforderung geht, gerecht und gut miteinander umzugehen.

Dabei ist die Textilbranche nur ein Beispiel. Wir können einen fairen Umgang mit Menschen und die Bewahrung der Schöpfung auf beliebige Branchen erweitern: von Energie und Mobilität, über Nahrungsmittel bis zu hin zu technischen Geräten und Finanz-Produkten der Banken und Versicherungen.

Am Ende läuft es immer wieder auf die eine Frage hinaus: Wollen wir mit unserem Konsum- und Lebensstil das Reich Mammons unterstützen, zur Ausbeutung von Menschen beitragen und die Schöpfung zerstören? Oder wollen wir uns dieser Sünde in den Weg stellen und versuchen, unsere Euronen in eine andere Art des Wirtschaftens zu lenken, die Gott ehrt und das Leben fördert?

Mit diesen und weiteren Fragen möchte sich der Bibel-Finanz-Blog zum Thema „Verantwortung“ beschäftigen… Wir wünschen Dir viel Freude, aber auch das eine oder andere heilsame Erschaudern beim Lesen.